Eduard Brückner-Preis
Die Klimaforschung ist zu einem eigenständigen Wissensbereich erweitert worden, der für den gesellschaftlichen Umweltdiskurs, für die Lebensführung der Individuen und die globale Politikberatung unmittelbar bedeutsam ist. Neben klassischen naturwissenschaftlichen Disziplinen wie Meteorologie, Ozeanographie, Geowissenschaften, Botanik, Geophysik oder Glaziologie und schließt diese Erweiterung jene sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen ein, die sich um die Umsetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse für die Öffentlichkeit bemühen und die vorwissenschaftlichen Annahmen und die kulturellen Grundlagen naturwissenschaftlichen Forschens herausarbeiten. Die naturwissenschaftliche Klimaforschung kann nur dann öffentlich wirklich bedeutsam werden, wenn sie in einen Dialog mit den Sozial- und Kulturwissenschaften eintritt.
Um diese Entwicklung zu fördern, ist der Eduard Brückner Preis gestiftet worden für herausragende interdisziplinäre Leistungen in der Klimaforschung.
Der im Oktober 2000 erstmals verliehen Preis ist nach dem herausragenden Geographen Eduard Brückner (1862-1927) benannt, der sich neben der Erforschung des eiszeitlichen Klimas in den Alpen und der natürlichen Klimaschwankungen auf Zeitskalen von Jahrzehnten auch um die ökonomische und soziale Dimension des Klimas in historischer Zeit verdient gemacht hat.
Bisher ist der Eduard Brückner Preis sechs mal vergeben worden, nämlich an
Christian Pfister wurde der erste Eduard Brückner Preis im Oktober 2000 verliehen.
Der Berner Historiker Christian Pfister bewegt sich seit 30 Jahren im Spannungsfeld von Human- und Naturwissenschaften. Neben herausragenden methodischen Leistungen im Bereich der Historischen Klimatologie hat er anhand einschlägiger historischer Beispiele die Wechselwirkung zwischen Umweltdiskursen, der Schöpfung naturwissenschaftlicher Kenntnisse und der Ausformung von Umweltpolitik untersucht und damit die heutige Diskussion über Wissenschaft, Kultur und Umwelt entscheidend gefördert.
.Der Brückner-Preis wurde das zweite Mal auf der 6. Deutschen Klimatagung in Potsdam im Sptember 2003 vergeben. Der Preisträger Dr. habil. Ernst Maier-Reimer, geb. 1944, ist Senior Scientist und Chief Ocean Modeller am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Nach seinem Diplom in Physik (Hochenergiephysik) wandte sich Ernst Maier-Reimer am Institut für Meereskunde (Universität Hamburg) der
Ozeanographie zu. Die von ihm entwickelten numerischen Ozeanmodelle wurden zum entscheidenden Eckpfeiler in unzähligen Diplomarbeiten und Dissertationen. Klaus Hasselmann holte ihn in den Mitarbeiterstab des MPI für Meteorologie. Der Erfolg und die Spitzenposition der deutschen Klimaforschung Anfang der 90er Jahre gehen wesentlich auf den pragmatischen Modellieransatz Ernst Maier-Reimers zurück. Seine physikalischen Ozeanmodelle sind die gegenwärtig effizientesten und vollständigsten marinen Vorhersagemodelle. Schon früh wandte sich Ernst Maier-Reimer den marinen Stoffkreisläufen und damit verbundenen ökologischen Fragestellungen zu. Das von ihm im Laufe der Jahrzehnte entwickelte biogeochemische Modell der allgemeinen Ozeanzirkulation ist Grundlage vieler partieller Weiterentwicklungen durch chemische, biologische, geologische Forschungsgruppen. Selbst seine härtesten Konkurrenten bestätigen die Führungsposition seines biogeochemischen Modells weltweit. Ernst Maier-Reimer ist somit ein Meisterstück gelungen: Die Verknüpfung von Ozeanphysik und mariner Biogeochemie auf höchstem wissenschaftlichen Niveau.
(Urkunde, Preisrede)
Am 9.Oktober 2006 wurde Roger Pielke jr für seine herausragenden Anstrengungen ausgezeichnet, physikalische Klimaforschung zu verbinden mit politikwissenschaftlichen Fragen nach Klimapolitik und Klimawirkung. Aus dem Spektrum an wichtigen Arbeiten von Roger Pielke Jr. seien einige Arbeiten besonders hervorgeheben.
Eine diese Arbeiten betrifft die begrifflichen Unklarheit des Begriffs „Climate Change“ (z.B. Pielke, Jr., R.A., 2005. Misdefining climate change: consequences for science and action, Environmental Science & Policy, Vol. 8, pp. 548-561. – dieser Begriff wird von FCCC und IPCC verschieden verwendet; Pielke zeigt, welche politischen Implikationen die auf den anthropogenen Anteil reduzierte Definition des FCCC haben, nämlich dass gegenwärtige Klimagefahren nur dann politisch eine Rolle spielen, wenn sie auf anthropogene Einflüsse zurückgeführt werden. So werden internationale „Player“ angehalten, die „global warming“-Karte zu spielen. In diesem Zusammenhang ist auch die Arbeit Pielke, Jr., R. A., 1998. Rethinking the Role of Adaptation in Climate Policy. Global Environmental Change, 8(2), 159-170 von Bedeutung, in der die verschiedenen Rollen untersucht werden, die Anpassungs- und Vermeidungsstrategien für die Definition einer sachgemäßen Klimapolitik spielen. Seinerzeit war das Denken zum Thema „Anpassung“ noch sehr unterrepräsentiert; die Debatte wurde ganz vom Gedanken der Vermeidung (also Verminderung von Emissionen) geprägt. Es war sicher auch die Leistung Pielkes, dass diese Einseitigkeit überwunden werden konnte in den vergangenen Jahren.
Ein anderer Block von wichtigen Arbeiten von Roger Pielke jr betrifft die Schäden durch meteorologische Extremereignisse, insbesondere Überschwemmungen und Hurricanes
In diesen Arbeiten unterscheidet Pielke quantitativ zwischen eine Zunahme von Schäden, die durch soziale und wirtschaftliche Veränderungen bewirkt sind und jenen, die auf eine veränderte Meteorologie zurückzuführen sind. Diese Bemühungen haben sich in einem unlängst durchgeführten Workshop mit der Münchner Rück kulminiert, in dem es gelang, einen Konsens mit den anwesenden Versicherungsvertretern herbeizuführen, wonach in der Tat gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren derzeit dominant verantwortlich sind für die Anstiege der wirtschaftlichen Schäden.
Ein dritter signifikanter Abschnitt betrifft die Frage, wie Wissenschaft als Ratgeber für Gesellschaft und Politik auftreten soll – nämlich als eine gesellschaftliche Ressource, die ein möglichst breites Spektrum an Reaktionsmöglichkeiten eröffnet und nicht etwa vermindert. In dieser Frage steht Pielke im Gegensatz zu vielen naturwissenschaftlichen Klimaforschern, die ihre persönlichen Präferenzen als einzig mögliche Reaktionen in die öffentliche Debatte tragen.
Roger Pielke jr. hat sich im Laufe von nur ca. 10 Jahren eine internationale Reputation erarbeitet, in der politikwissenschaftliche und naturwissenschaftliche Kompetenzen fachübergreifend verbunden werden, wie man es sonst in der Klimaforschung nicht findet. Roger Pielke jr. ist Professor Environmental Studies Program, Fellow des Cooperative Institute for Research in the Environmental Sciences sowie Direktor des Center for Science and Technology Policy Research an der University of Colorado/CIRES. Er erwarb in 1990 einen Batchelor in Mathematik, 1992 einen Master in Public Policy und einen Doktorgrad (Ph.D.) in Political Sciences.(Laudatio und Urkunde)
Im Zuge der 10 Deutschen Klimatagung wurde James Rodger Fleming der Eduard-Brückner-Preis 2015 verliehen.
James R. (Jim) Fleming ist Professor für Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft am Colby College im US-Bundesstaat Maine sowie Wissenschaftler an der Columbia University und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der renommierten US-amerikanischen Forschungs- und Bildungsstiftung, der Smithsonian Institution.
Jim Fleming ist der vermutlich bekannteste US-amerikanische Wissenschaftler, der obwohl aus der Meteorologie kommend, heute als Historiker angesehen wird, als Historiker der modernen Meteorologie inbesondere in den USA aber auch in anderen Ländern der Welt. Er hat zahlreiche Bücher eröffentlicht, die immer wieder ausgezeichnet wurden: Inventing Atmospheric Science: Bjerknes, Rossby, Wexler, and the Foundations of Modern Meteorology. in 2016, Fixing the Sky: The Checkered History of Weather and Climate Control in 2010, The Callendar Effect. The life and work of Guy Stewart Callendar (1898-1964), the scientist who established the carbon dioxide theory of climate change in 2007 und Historical Perspectives on Climate Change in 2005.
(Presseerklärung; Urkunde).
Im Rahmen der 11. DKT in der Goethe-Universität in Frankfurt/M. erhielt am 6. März 2018 der Tscheche Rudolf Brázdil für seine herausragende interdisziplinäre Leistung den fünften Eduard-Brückner-Preis.
Rudolf Brázdil ist in Mähren in der Stadt Brünn geboren und aufgewachsen, wo er auch die Schulen besuchte. In seinen jungen Jahren waren die Möglichkeiten der Mobilität stark eingeschränkt. Er begann deshalb sein Studium der Geographie und Mathematik an der bekannten Masaryk-Universität von Brünn, welches er mit einem Doktorat in Physischer Geographie abschloss. Bereits drei Jahre später wurde er als Dozent für Meteorologie und Klimatologie an die slowakische Comenius-Universität von Bratislava berufen. 1990 erwarb er mit dem DrSc (Doctor of Science) den höchsten Grad der tschechischen Universitäten. Nach einem Aufenthalt an der Karls-Universität Prag wurde er 1991 auf eine ordentliche Professur am Geographischen Institut Brünn berufen, wo er Physische Geographie, Meteorologie und Klimatologie unterrichtet.
Rudolf Brázdil hat bereits in jungen Jahren ein grosses Interesse für interdisziplinäre Arbeitsansätze entwickelt. Zuerst konzentrierten sich seine Arbeiten auf statistische Analysen zur Klimavariabilität sowie auf Stadtklimatologie und Studien zum polaren Klima. Drei Expeditionen führten ihn nach Spitzbergen. Schlüsselerlebnisse waren sein Stipendienaufenthalt, den er 1984/84 in der Forschungsgruppe von Prof. Hermann Flohn in Bonn verbrachte, sowie seine Begegnungen mit dem Klimahistoriker Christian Pfister. Die Wende von 1989 erlaubte ihm eine verstärkte Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern Westeuropas und damit die Beteiligung an europäischen Forschungsprogrammen. Dabei fesselte ihn zunehmend die Frage, wie sich klimatische Extremereignisse seit Jahrhunderten auf Gesellschaften ausgewirkt haben. Mit grossem Begeisterungsvermögen erschloss er viele Archive mit Dokumentendaten, zuerst zusammen mit dem Historiker Oldrych Kotyza in seiner tschechischen Heimat. Er hat damit die historische Klimatologie in diesem Raum belebt und mit grosser Initiative zahlreiche spannende, wissenschaftliche Veranstaltungen initialisiert. Namentlich hat er – was anderen Forschungsruppen nicht im gleichen Umfange gelungen ist – viele seiner Quellen und Ergebnisse in Buchform in Englisch publiziert. Mehr als 10 Bände sind mittlerweile erschienen.
Rudolf Brázdil verbindet in seinen Arbeiten Originalität mit wissenschaftlicher Strenge, was für die Historische Klimatologie von grosser Bedeutung ist. Mit seinem Team hat er den reichhaltigen Fundus an den neu gewonnenen, historischen Datensätzen mit modernen Methoden bearbeitet und wichtige Beiträge zur Untersuchung des statistischen Verhaltens von Extremereignissen geliefert. Zusammen mit seinem Schüler Petr Dobrovolný ist es ihm gelungen, anhand von Dokumentendaten aus Tschechien, Deutschland und der Schweiz Monatswerte der Temperatur seit 1500 zu schätzen. Es ist dies ein einzigartiger Datensatz, auf den mittlerweile auch viele Naturwissenschafter zurückgreifen. Hervorzuheben sind daneben Rudolf Brázdils Beiträge zur Auswirkung von Extremereignissen wie Überschwemmungen, Trockenheit, Stürme und Hagel auf Gesellschaften.
Rudolf Brázdil hat als Persönlichkeit mitgeholfen, die historische Klimatologie und Hydrologie international bekannt zu machen und prominent zu positionieren. Er hat in den letzten 25 Jahren eine erstaunliche Publikations-, Reise- und Vortragstätigkeit entwickelt und viele junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für seinen Arbeitsansatz begeistert.
(Pressemitteilung)
Im Rahmen der 12. DKT in Hamburg, erhielt Mike Hulme, Professor für Human Geography an der University of Cambridge, am 16. März 2021 den sechsten Eduard-Brückner Preis.
Mike Hulme hat herausragende Beiträge zum Verständnis von Klimadaten, insbesondere zu Niederschlagsdaten in Afrika geliefert. Vor allem hat er die Klimaforschung über das Studium des Klimas hinaus geöffnet und durch exzellente Studien zum Verständnis des Klimawandels in Geschichte, Kultur und Medien und zur Beziehung zwischen Klima und Gesellschaft bereichert. Damit ist Mike Hulme einer der international herausragenden Persönlichkeiten, der das Wissen darüber, wie Wissen über den Klimawandel konstruiert wird, und wie Politik und Klimawissenschaft interagieren, in bahnbrechender Weise gefördert.
Mike Hulme hat an der University of Durham Geographie studiert und am University College Swansea promoviert. Seine Dissertation befasste sich mit den Säkularen Schwankungen der Regenfälle und Wasserressourcen im Sudan. Als Dozent an der University of Salford hat sich Mike Hulme zum Ziel gesetzt, den Klimawandel und die Klimavariabilität in Afrika und ihre Bedeutung für Ökologie und Gesellschaft zu verstehen. 1988 wechselte Mike Hulme an die University of East Anglia, wo er Mitglied der international renommierten Climate Research Unit wurde. Er erstellte und analysierte globale Klimadaten, insbesondere zum Niederschlag. 2013 wurde er Professor für Klima und Kultur am King's College in London, seit 2017 ist er Professor für Humangeographie an der University of Cambridge.
Während seiner Zeit an der University of East Anglia von 2000 bis 2007 war Mike Hulme Gründungsdirektor des Tyndall Centre for Climate Change Research. Als Direktor des Tyndall Centre wurde Mike Hulme mehr und mehr mit der Klimapolitik und der Kommunikation der Klimawissenschaft konfrontiert. In einem Artikel für die BBC im November 2006 warnte Mike Hulme vor den Gefahren einer alarmistischen Sprache, aus der ein starkes fatalistisches Narrativ mit häufigen Verweisen auf Hilflosigkeit, gesellschaftlichen Zusammenbruch und Katastrophen hervorgeht. "Why we disagree about climate change" ist vermutlich das bekannteste Buch von Mike Hulme, das 2009 erschienen ist. Er beschreibt darin den Klimawandel nicht als "ein Problem", das auf "eine Lösung" wartet. Stattdessen betrachtet er ihn als ein ökologisches, kulturelles und politisches Phänomen, das die Art und Weise, wie wir über uns selbst, unsere Gesellschaften und den Platz der Menschheit auf der Erde denken, neu gestaltet. Wenige Monate nach der Veröffentlichung seines berühmten Buches fand sich Mike Hulme inmitten des "Climategate" wieder. Aber anstatt eine defensive Haltung einzunehmen, fragte Mike Hulme nach den Lehren aus dem "Climategate" und setzte sich mit der sich verändernde Beziehung zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit sowie mit der Er-wartung an Transparenz und Rechenschaftspflicht in der Wissenschaft konstruktiv auseinander.
Die Laudatio hielt Martin Claussen, auf die Hulme so antwortete.
Die ersten 6 Preise wurden vom Helmholtz Zentrum Geesthacht, früher GKSS, jetzt HEREON, finanziert. Diese Finanzierung wird ab dem 7. Preis vom Deutschen Klimarechenzentrum (DKRZ) übernommen.
Das Eduard–Brückner-Preis Komitee: Hans von Storch, Gudrun Rosenhagen, Martin Claussen, Josef Egger, Jürgen Sündermann, Heinz Wanner. Das Preisgeld wird gestiftet vom Helmholtz Zentrum Geesthacht. Der Preis wurde erstmals auf der 5. Deutschen Klimatagung in Hamburg verliehen.
Eduard Brückner, 1862-1927, Schüler Albrecht Pencks, war Geograph in Hamburg, Bern, Halle und Wien. Neben seinen Arbeiten über die Gletscher der Alpen tat sich Brückner besonders hervor durch seine Analyse langjähriger Reihen instrumenteller und indirekter Beobachtungen von Klimaschwankungen. Dabei unterschied er klar zwischen natürlichen Klimaschwankungen und systematischen Veränderungen. Er identifizierte Trends in seiner jüngeren Vergangenheit als Ausdruck natürlicher Variabilität und wies verbreitete Spekulationen, daß diese Trends anthropogen (Entwaldung) seien, zurück. Er war interessiert an den gesellschaftlichen Auswirkungen der von ihm beschriebenen natürlichen Klimavariabilität, inbesondere im Hinblick auf die Verbreitung von Krankheiten, Landwirtschaft und Transporte. Siehe auch: Stehr, N., and H. von Storch (Eds.), 2000: Eduard Brückner - The Sources and Consequences of Climate Change and Climate Variability in Historical Times. Kluwer Publisher ISBN 0-7923-6128-8, 338 pp